Lokaler Aktionsplan für Toleranz und Demokratie

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"Der "Kampf gegen rechts" steht oft in Gefahr, zu einem Schlagwort zu verkommen. Der Grund liegt darin, dass diese Formulierung vom eigentlichen Problem ablenkt: Denn nicht die Rechts- extremisten, die auf den Straßen oder in den Parlamenten ihre Ideologie absondern, sind Kern des Problems, sondern der Resonanzboden in unserer Gesellschaft, auf welchen diese Ideologie seit vielen Jahrzehnten stößt."

Rahmenkonzept zum Lokalen Aktionsplan für Toleranz und Demokratie gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit der Stadt Chemnitz,
Vorlage: B- 178/2008, Stadtrat 10. September 2008

Redebeitrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, sehr geehrte Damen und Herren, der "Kampf gegen rechts" steht oft in Gefahr, zu einem Schlagwort zu verkommen. Der Grund liegt darin, dass diese Formulierung vom eigentlichen Problem ablenkt: Denn nicht die Rechtsextremisten, die auf den Straßen oder in den Parlamenten ihre Ideologie absondern, sind Kern des Problems, sondern der Resonanzboden in unserer Gesellschaft, auf welchen diese Ideologie seit vielen Jahrzehnten stößt.

Unter der Überschrift "Vom Rand zur Mitte" untersuchte die Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2006 rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren und kam dabei zu dem – nicht wirklich überraschenden Ergebnis -, dass die Elemente rechtsextremistischen Denkens wie Ausländerfeindlichkeit, Chauvinismus, Antisemitismus, Verharmlosung des Nationalsozialismus und die Befürwortung einer Diktatur weit verbreitet sind. Nicht alle so eingestellten Bürgerinnen und Bürger wählen aber gleich rechtsextrem, viele wählen auch die großen Volksparteien. Die Ebert-Studie hat zudem herausgearbeitet, das nicht wenige Mitglieder z. B. auch von Gewerkschaften und Kirchen das rechtsextremistische Weltbild teilen.

Meine Damen und Herren, ich möchte das vorliegende Rahmenkonzept zum Lokalen Aktionsplan für Toleranz und Demokratie eben gerade nicht zum Anlass für eine kämpferische Rede gegen Rechtsextremisten in unserer Stadt nehmen. Mir geht es vielmehr darum, den Blick auf uns selbst zu richten: Wie aktiv und selbstbewusst treten wir in unserer Stadt für die Werte der Demokratie ein? Welche demokratische Kultur herrscht hier in unserem Haus? Wie ernst nehmen wir es z. B. mit Bürgerbeteiligung, wenn sich Gruppen oder Initiativen unaufgefordert und lautstark zu Wort melden und sich gegen Entscheidungen der Politik auflehnen? Wie transparent machen wir unsere Arbeit, die Entscheidungsprozesse und Entscheidungsgrundlagen gegenüber den Menschen? Ich könnte hier noch viele solcher Fragen formulieren. Eins möchte ich damit herausarbeiten: Die Stärke der Rechtsextremisten erwächst immer auch aus der Schwäche der Demokratie, auch aus der Schwäche unserer kommunalen Demokratie.

Daraus folgt zunächst, dass wir das – zumeist sehr nüchterne Verfahren – unserer Entscheidungsfindung so ausgestalten müssen, dass die Menschen nicht das Gefühl haben, es würde über ihren Kopf hinweg entschieden, als spielten ihre Sichtweise und Meinung keine Rolle. Aber vor Allem müssen wir klarmachen, dass Demokratie eben nicht nur ein nüchternes Verfahren für politische Entscheidungsfindung ist, sondern den Werten der Würde, Freiheit und Gleichheit aller Menschen in unserer Stadt, in unserem Land und weltweit verpflichtet ist. Dies ist das Unterscheidungsmerkmal und die Grenzlinie, die wir ziehen müssen: Denn Rechtsextremisten gestehen diese Freiheit allenfalls Menschen zu, die von ihnen – wie auch immer – als "volksangehörig" bzw. "deutsch" definiert werden, d.h. nur im Rahmen ihrer autoritären, völkischen Werteordnung.

Der Aktionsplan soll helfen, dass die Menschen in unsere Stadt diese – oftmals nicht klar erkennbare oder bewusst verschleierte – Grenzlinie im Alltag erkennen und in Konfrontationssituationen entschlossen reagieren können. Dies gilt gleichermaßen z. B. auch für Unternehmen, die Räume vermieten, Medienvertreter, die über Personen oder Ereignisse berichten, für die Stadtverwaltungsmitarbeiter und natürlich auch für uns Stadträte.

Dazu gehört neben der Aufklärung über die modernen Erscheinungsformen rechtsextremer Subkultur auch die konkrete Auseinandersetzung mit der Ideologie und Strategie sowie den Kampagnen der Rechtsextremisten. Diese Auseinandersetzung darf sich aber gerade nicht im Gerede über "wehrhafte" Demokratie oder den Ruf nach Verboten, Polizei und Verfassungsschutz erschöpfen. Weil wir diese Auseinandersetzung allein nicht leisten können, brauchen wir dafür die breite Unterstützung vieler Menschen und Initiativen in unserer Stadt. Und genau hier setzt das Beteiligungsverfahren Lokaler Aktionsplan an.

Es wäre auch falsch, den Lokalen Aktionsplan ausschließlich auf Jugendliche oder Schulen auszurichten, denn die Schwäche demokratischen Denkens und Handelns ist, wie nicht zuletzt die Studie der Ebert Stiftung erneut klargestellt hat, kein Jugendproblem allein. Wir müssen in Verwaltung und Rat auch davon wegkommen, jedes Problem im Zusammenhang mit Rechtsextremismus erst mal zum Jugendamt zu schieben.

Meine Damen und Herren, am Ende meiner Ausführungen möchte ich eines deutlich herausstreichen: Der Lokale Aktionsplan ist keine Verordnung oder ein Instrument, mit dem Menschen zu einem bestimmten Verhalten genötigt werden. Denn ein freiheitlicher Staat kann von seinen Bürgern eben kein bestimmtes politisches Bekenntnis – auch keines zur Demokratie – verlangen. Demokratische Gesinnung kann weder verordnet noch mit staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Wer derartiges der heutigen Beschlussvorlage unterstellt, hat sie nicht gelesen oder einfach nicht verstanden.

Es geht vielmehr darum, möglichst viele Menschen für die demokratischen Werte der Freiheit, Gleichheit und Toleranz zu gewinnen. Der Stadtrat kann heute und in den kommenden Haushaltsverhandlungen seine Verantwortung übernehmen und den Rahmen dafür schaffen, dass nicht allein Verordnungen und Verbote, sondern wiederum möglicht viele Menschen, Nachbarn, Mitschüler, Kollegen die Intoleranz, die Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in unserer Gesellschaft entschlossen zurückdrängen.

Schließen möchte ich mit einem Zitat des SPD-Fraktionsvorsitzenden aus dem Sächsischen Landtag, Martin Dulig: "Wir brauchen eine Kultur des Widerspruchs auf allen Ebenen"

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Rahmenkonzept zum Lokalen Aktionsplan für Toleranz und Demokratie gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit der Stadt Chemnitz

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