Ermessensausübung beim Umgang mit Meldedaten

Beschlussvorschlag:

Die Oberbürgermeisterin wird beauftragt, dafür Sorge zu tragen,

1. dass eine Übermittlung von Meldedaten durch die Stadt Chemnitz an private Dritte in folgenden Fällen ab sofort nur noch nach vorheriger schriftlicher Einwilligung des Betroffenen erfolgt:

a) Einfache Melderegisterauskünfte als Einzelauskunft oder Sammelauskunft im Sinne des § 32 Abs. 1 SächsMeldeG, insbesondere wenn sie erkennbar für Zwecke der Direktwerbung begehrt werden,

b) Gruppenauskünfte an Parteien oder Wählervereinigungen im Sinne des § 33 Abs. 1 SächsMeldeG,

c) Veröffentlichung und Übermittlung von Daten im Sinne des § 33 Abs. 3 SächsMeldeG zum Zwecke der Veröffentlichung in Adressbüchern,

d) Alters- und Ehejubiläen im Sinne des § 33 Abs. 2 SächsMeldeG,

e) Übermittlung der Daten eines Familienangehörigen eines Mitglieds einer Religionsgemeinschaft im Sinne des § 30 Abs. 2 SächsMeldeG, die nicht derselben oder keiner Religionsgemeinschaft angehören,

2. dass Daten nur der Einwohner an die Sächsische Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung (SAKD) zum Zwecke des automatisieren Abrufs nach § 32 Abs. 2 SächsMeldeG übermittelt werden, die zuvor ausdrücklich und schriftlich ihre Einwilligung zu einer Weitergabe der Daten nach § 32 Abs.1 SächsMeldeG erklärt haben,

3. dass auch bei "berechtigten Interesse" im Sinne des § 32a Abs.1 SächsMeldeG nur die Daten ihrer Einwohner übermittelt werden, die zuvor ausdrücklich und schriftlich in eine erweiterte Melderegisterauskunft eingewilligt haben,

4. dass auch bei "öffentlichen Interesse" im Sinne des § 32a Abs. 3 SächsMeldeG im Sinne des § 32a Abs. 3 SächsMeldeG nur die Daten ihrer Einwohner übermittelt werden, die zuvor ausdrücklich und schriftlich in eine Gruppenauskunft eingewilligt haben,


Ergebnis
:

Der Antrag wurde in der Stadtratssitzungen vom 26.11.2008 verhandelt und scheiterte knapp am Widerstand von Rechtsbürgermeister Runkel und an der Ablehnung durch die FDP-Fraktion. Die Unterstützung der Linksfraktion und Teilen der SPD-Fraktion reichte für eine Mehrheit letztendlich nicht aus.


Begründung:

Mit dem Antrag soll die Stadtverwaltung beauftragt werden, die Weitergabe von Meldedaten an Private und Parteien generell von der vorherigen Einwilligung jeder/jedes Einzelnen abhängig zu machen. Die bestehende Praxis – Übermittlungssperre erst nach schriftlichem Widerspruch – soll damit einheitlich verändert werden.

Das Sächsische Meldegesetz sieht in § 4 den Grundsatz vor, dass Datenübermittlungen nur mit Einwilligung der Betroffenen stattfinden dürfen. Andererseits regelt das Meldegesetz aber zahlreiche Ausnahmen von diesem Grundsatz, der dazu führt, dass die Meldebehörden in breitem Umfang Daten ihrer Einwohner wie Adressen an interessierte Private verkaufen können. Dies ist vielen Bürgerinnen und Bürgern nicht bewusst. So erzielte z. B. Chemnitz in den Jahren 2006 und 2007 damit Einnahmen von insgesamt 350.000 Euro (Quelle: Antwort von Bürgermeister Brehm auf Ratsanfrage s/237/2007 von Stadträtin Giegengack).

Zugleich sieht das Meldegesetz aber in der Regel eine Ermessensentscheidung der Gemeinde bei der Datenübermittlung vor. Die Stadt Chemnitz kann daher ihr Ermessen auch so ausüben, dass die Daten nur nach vorheriger ausdrücklicher und schriftlicher Einwilligung übermittelt werden dürfen. Diesem Ziel dient der Antrag.

Zu 1. a), c), d), e): Einheitliche Ermessensausübung im Sinne der Einwilligungslösung
Das Sächsische Meldegesetz regelt in den §§ 32 Abs. 1, 32a, dass die Meldebehörde Daten übermitteln "darf". Die Meldebehörde hat daher nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Der Antragsteller hat daher keinen Rechtsanspruch auf Übermittlung der Daten. Die Meldebehörde kann ohne Rechtsverstoß die Datenübermittlung verweigern. Sie ist aber an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden und hat vergleichbare Fälle gleich zu behandeln (vgl. Darré / Rimmele / Thalheim / Wunsch, Kommentar zum SächsMeldeG, 2. Auflage 2006, vor §§ 32, 32a, R.5). Kommt sie daher einem Melderegisterantrag nach, muss sie dies in vergleichbaren Fällen auch tun.
Die Gemeinde ist aber berechtigt, ihre Übermittlungspraxis einheitlich zu ändern. Sie kann daher ab einem bestimmten Zeitpunkt ihr Ermessen in der Weise ausüben, dass sie überhaupt keine Datenübermittlungen mehr vornimmt. Daher ist sie auch berechtigt, die Datenübermittlung einheitlich an bestimmte Voraussetzungen zu binden. Dies geschieht hier mit der Bedingung einer vorherigen ausdrücklichen und schriftlichen Einwilligung des Betroffenen in die Datenübermittlung. Für den Fall der erkennbaren Direktwerbung hat das Bundesverwaltungsgericht ein außergesetzliches Widerspruchsrecht konstituiert (BVerwG, Urteil vom 21.6.2006, 6 C 05/05). Dieser Fall wird ausdrücklich dem Einwilligungserfordernis unterworfen. Dies gilt auch für eine Negativauskunft ("unbekannt verzogen").

Zu 1 b): Auskünfte an Parteien
§ 33 Abs. 1 des Meldegesetzes erlaubt 6 Monate vor einer Wahl die Übermittlung von Adressen an Parteien und Wählervereinigungen. Angesichts der anstehenden Kommunal-, Europa-, Landtags- und Bundestagswahlen im Jahre 2009 ist eine baldige Entscheidung im Sinne des Antrags dringend geboten. Sonst können Parteien und Wählervereinigungen ab dem 7. Januar 2009 Daten abrufen. Hat die Meldebehörde erst einmal einer Partei Daten übermittelt, ist sie nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet, auf deren Antrag auch anderen Parteien Daten zu übermitteln.

Zu 2: Datenweitergabe zum Zwecke des automatisierten Internetabruf von Adressen nur nach Einwilligung

Die Stadt Chemnitz ist gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 SächsMeldeG nicht verpflichtet, die Daten ihrer Einwohner an die Sächsische Landesanstalt für kommunale Datenverarbeitung zum automatisierten Abruf weiterzugeben (vgl. Darré / Rimmele / Thalheim / Wunsch, aaO, § 32 R. 14). Daher kann sie eine Weitergabe zum automatisierten Abruf auch an die Bedingung einer vorherigen ausdrücklichen und schriftlichen Einwilligung knüpfen.

Zu 3: Auskunft trotz "berechtigtem Interesse" nur bei Einwilligung

Ein "berechtigtes Interesse" an einer erweiterten Melderegisterauskunft im Sinne des § 32a Abs. 1 SächsMeldeG wird auch anerkannt, wenn der Abfragende ein wirtschaftliches Interesse hat. Damit sind Datensammlungen zu kommerziellen Zwecken  zulässig. (Darré / Rimmele / Thalheim / Wunsch, aaO, § 32a R. 8). Gleichwohl behält die Stadt Chemnitz auf der Rechtsfolgenseite einen Ermessensspielraum, den sie in der Weise ausüben kann, dass sie eine erweiterter Melderegisterauskunft trotz des "berechtigten Interesses" nur nach vorheriger ausdrücklicher schriftlicher Einwilligung des Betroffenen gibt. Dies ist Ziel der Regelung. Die Auskunft bei Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses bleibt unberührt.

Zu 4: Auskunft trotz "öffentlichem Interesse" nur bei Einwilligung
Ein öffentliches Interesse an einer Gruppenauskunft im Sinne des § 32a Abs. 3 wird zwar bei rein kommerziellen Interessen verneint, aber doch anerkannt, wenn die Erhebung allgemeinen wirtschaftlichen Interessen dient (Darré / Rimmele / Thalheim / Wunsch, aaO, § 32a, R. 20). Die Abgrenzung ist durchaus unklar. Daher besteht die Gefahr, dass auch hier öffentliche Interessen vorgeschoben werden, um kommerzielle Zwecke zu erreichen. Auch hier ermöglicht die Ermessensausübung der Meldebehörde eine Auskunftserteilung selbst bei öffentlichem Interesse an eine vorherige ausdrückliche schriftliche Zustimmung zu binden.

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