Leinenzwang: Rechtsbürgermeister Runkel schießt übers Ziel hinaus

Genereller Leinenzwang in Chemnitz ist unverhältnismäßig und pauschal: Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßt den Vorstoß einer Bürgerin, mittels einer Petition den generellen Leinenzwang für Hunde in Chemnitz in Frage zu stellen. "Diese Regelung ist unverhältnismäßig und die Begründungen, die Bürgermeister Runkel für den generellen Leinenzwang anführt, in vielen Punkten nicht nachvollziehbar." meint Stadträtin Annekathrin Giegengack.

So folgte 2005 das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in einem Normenkontrollverfahren der Argumentation der Klägerin und erklärte den generellen Leinenzwang für Hunde in Hemmingen für unwirksam. Es sei wissenschaftlich nicht belegt, dass von allen Hunderassen generell eine abstrakte Gefahr für andere Hunde und Menschen ausginge, so das Gericht in seiner Urteilsbegründung. 1)

Darüber hinaus wirft die Argumentation von Bürgermeister Runkel weitere Fragen auf. "Wer legt auf welcher Grundlage fest, wie viel Hundewiesen ausreichend sind? Und wieso ist eine Gehorsamsprüfung nach jetziger Gesetzeslage in Sachsen nicht möglich? Auch Hundeschulen in Chemnitz bieten die Möglichkeit, den Hundeführerschein zu erwerben. So müssen bereits jetzt Halter von als gefährlich eingestuften Hunden ihre erforderliche Sachkunde und Zuverlässigkeit mittels Prüfung nachweisen. 2)" fragt Giegengack.

Ein weiterer kritischer Punkt ist das Ausnahmeverfahren. Nach Auskunft von Herrn Runkel können bestimmte Hunde von dem generellen Leinenzwang ausgenommen werden. Giegengack: "In der Polizeiverordnung ist lediglich eine Ausnahme festgeschrieben – das sind die Blindenhunde. Herr Runkel hat überhaupt keine rechtliche Grundlage weitere Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, wenn er dies tut, macht er das willkürlich."

Die Fraktion der Grünen fordert deshalb eine Überarbeitung der Polizeiverordnung. "Die Leinenregelung für Hunde muss unbedingt angepasst werden. Sie muss zum einen dem Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger Rechnung tragen aber gleichzeitig auch eine artgerechte Haltung von Hunden ermöglichen. Die jetzige Regelung ist unverhältnismäßig und pauschal, denn sie schert alle Hunde und alle Hundehalter über einen Kamm." so Giegengack.


Hintergrundinformation

1) Oberverwaltungsgericht beurteilt generellen Leinenzwang für Hunde als unverhältnismäßig

Nach § 4 der seit dem 18. Dezember 2003 geltenden "Verordnung über das Halten von Hunden in der Stadt Hemmingen" müssen dort Hunde auf allen öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen, Grün- und Parkanlagen innerhalb der geschlossenen Ortslage, in Sportanlagen sowie bei Umzügen und ähnlichen Veranstaltungen mit Menschenansammlungen an der reiß- und beißfesten Leine geführt werden.

Die Antragsteller des hiergegen gerichteten Normenkontrollverfahrens sind sei 1999 Halter einer Schäferhund-Mischlingshündin. Sie meinen, der angeordnete Leinenzwang führe zu Fehlentwick­lungen des Hundes, weil das Tier seinem Bewegungsbedürfnis nicht nachkommen könne. Die An­ordnung eines generellen Leinenzwangs sei unverhältnismäßig, weil in der Stadt Hemmingen keine wesentlichen Unfälle mit beißenden Hunden vorgekommen seien. Die Verordnung beruhe lediglich auf einem Gefahrenverdacht, was für ihren rechtmäßigen Erlass nicht ausreichend sei. Die Antrags­gegnerin weist demgegenüber daraufhin, dass die Verordnung zur Abwehr einer abstrakten Gefahr erforderlich sei. Im Übrigen gebe es außerhalb der geschlossenen Ortslage von Hemmingen genü­gend Auslaufflächen für Hunde.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht – 11. Senat – hat mit Urteil vom 27.01.2005 (11 KN 38/04) die zitierte Regelung der Verordnung für unwirksam erklärt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

§ 4 der Verordnung kann nicht auf die Verordnungsermächtigung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 NdsSOG ge­stützt werden, weil die Annahme, dass unangeleinte Hunde im Stadtgebiet von Hemmingen generell eine Gefahr für andere Hunde oder Menschen darstellen, durch die von der Stadt dazu vorgelegten Unterlagen nicht belegt werden. Die Statistik der Beißunfälle, die sich auf einen Zeitraum von zwei­einhalb Jahren bezieht, weist lediglich 27 Vorfälle aus, die überdies nur bedingt aussagekräftig sind. Auch die Stellungnahme der Polizeistation Hemmingen enthält keine hinreichenden Anhaltspunkte, die den Schluss auf einen drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen. Vereinzelte Strafverfahren gegen Hundehalter bzw. Hundeführer, deren Hunde Menschen verletzt haben, reichen nicht aus, um die für den Erlass einer Verordnung erforderliche abstrakt-generelle Gefahr zu bejahen. In Einzel­fällen kann vielmehr mit entsprechenden Verfügungen gegenüber dem jeweiligen Hundehalter rea­giert werden. Schließlich liegen auch keine Erkenntnisse fachkundiger Stellen vor, welche die Not­wendigkeit aufzeigen, im gesamten Stadtgebiet Hunde an der Leine zu führen. Es ist wissenschaft­lich nicht belegt, dass von allen Hunderassen generell eine abstrakte Gefahr für andere Hunde und Menschen ausgeht. Soweit die Antragsgegnerin den Erlass der Verordnung auch damit begründet hat, das "Sicherheitsgefühl" der Bewohner verbessern zu wollen, ist dieser Beweggrund zwar nach­vollziehbar. Doch rechtfertigt allein ein "subjektives Unsicherheitsgefühl", das nicht durch zurei­chende Tatsachen belegt wird, nicht den Erlass einer solchen Verordnung.

Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.

2) Gesetz zum Schutze der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden (GefHundG) nebst einer Durchführungsverordnung (DVOGefHundG)

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