Haushalt 2010: Fraktionserklärung von Petra Zais im Stadtrat am 27.01.2010

Die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben dem Beschlussantrag der Verwaltung für den Haushalt der Stadt Chemnitz 2010 inklusive der mittelfristigen Finanzplanung bis 2013 nicht zugestimmt.

„Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, sehr geehrte Damen und Herren,

die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden dem Beschlussantrag der Verwaltung für den Haushalt der Stadt Chemnitz 2010 inklusive der mittelfristigen Finanzplanung bis 2013 nicht zustimmen.

Zu den Gründen:

Wir GRÜNE haben in den letzten Jahren den Spar- und Entschuldungskurs des Kämmerers konsequent mitgetragen.

Zum einen, weil maßvolles, ressourcenschonendes Haushalten für uns ebenso selbstverständlich ist wie Vorsorge in guten Zeiten. Hätten wir Letzteres nicht getan, wäre bereits dieser Haushalt deutlich defizitär.  

Zum anderen, weil wir nicht wollen, dass immer stärker wachsende Zins- und Tilgungsraten die Spielräume künftige Generationen in der Gestaltung ihrer kommunalen Lebenswelt in unverhältnismäßig hohem Maß beeinträchtigen. Doch Generationengerechtigkeit hat zwei Seiten.

Die Grenzen des Sparens sind für uns dort erreicht, wo es auf kommunaler Ebene zu Lasten von Bildung, städtischer Infrastruktur, Natur und Umwelt geht. Unterlassene Investitionen, nichtbesetzte Stellen an neuralgischen Punkten wie baubegleitender Rechnungsprüfung oder Streichungen im Bereich der Jugendhilfe mögen aus der Sicht eines Kämmerers zu bestimmten Zeiten Ausdruck sparsamen Wirtschaftens sein, wirtschaftlich sind sie mit Blick auf die Folgekosten nicht.

Wer nachfolgenden Generationen statt finanzieller Schulden einen niedrigen Bildungsstand oder eine unzulängliche Infrastruktur überlässt, untergräbt ihre Möglichkeiten und Chancen mindestens ebenso sehr.

Solide nachhaltige Haushaltspolitik basiert auf weitsichtiger Kommunalpolitik, die sich jedoch nur gestalten lässt, wenn die Rahmenbedingungen kommunaler Selbstverwaltung verlässlich bleiben.

Davon kann heute keine Rede mehr sein, denn was wir zurzeit erleben, ist die schwarz-gelbe Ausplünderung der Kommunen in bisher nie gekanntem Ausmaß. Mit unverholener Dreistigkeit greifen Bund und Länder zur Finanzierung  ihrer Wahlgeschenke den Kommunen in die Tasche und untergraben so die im Grundgesetz verankerte kommunale Selbstverwaltung. 20 % der Steuergeschenke des Bundes müssen die Kommunen tragen – das ist Wegelagerei!

Wachsenden Sozialausgaben und die stete Aufgabenverlagerung zu Lasten der kommunalen Haushaltskassen durch Bund und Länder sind zudem Ausdruck einer wachsenden Arroganz gegenüber denen, die bereits bis zum Hals im Wasser stehen und die sich, weil sie am Ende der Kette stehen, nicht aus den Pflichtaufgaben herausstehlen können.

Verantwortungsvolle Kommunalpolitik muss das Problem beim Namen nennen und sich wehren.

Noch zeigt sich die Bundespolitik unbeeindruckt von den Mahnungen der Spitzenverbände. Aber der Widerstand an der kommunalen Basis wird lauter, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wenden sich an die Öffentlichkeit oder gehen auf die Straße, Bündnisse zur Gegenwehr wie in Köln formieren sich.

Allerdings – und das ist eine der größten Enttäuschungen im Rahmen der diesjährigen Haushaltsdiskussion – fehlt es an deutlichen, öffentlichen Äußerungen der Oberbürgermeisterin und des Kämmerers in Richtung Dresden und Berlin.

Wir hätten uns gewünscht, dass nicht bereits jetzt und in vorauseilendem Gehorsam Termine zur Planung der Haushaltskonsolidierung gemacht werden, sondern dass Sie, Frau Oberbürgermeisterin und Sie, Herr Nonnen, gemeinsam mit dem Rat deutlich machen, wo die Grenzen der Belastbarkeit erreicht sind und welche Möglichkeiten der Gegenwehr bestehen.

Auch der Chemnitzer Vertreter im Bundestag, vor kurzem noch hochglanzpoliert mit CDU-Logo an jeder Laterne zu sehen, das Ohr an der Masse und versprochener Stimme im Bund, ist heute taub und stumm.

„Wer die Suppe bestellt, muss sie auch bezahlen.“ So zumindest ist die Regel. Betrachten wir die Ein- und Ausgabenseite hinsichtlich der  Entwicklungen bei Sozial- und Jugendhilfe, Grundsicherung für Rentner, Erziehungshilfen und Hilfen für Behinderte, Kosten der Unterkunft bei Hartz IV und den Ausbau der Kitas als Folge des ab 2013 beschlossenen Rechtsanspruches auf einen Kitaplatz für alle unter Dreijährigen, ist die Regel schon lange außer Kraft gesetzt.

Allein bei den Kosten der Unterkunft plant der Bund nun im dritten Jahr in Folge den Bundesanteil abzusenken. Gerade vor dem Hintergrund des prognostizierten Anstiegs der arbeitslosen  ALG II – Beziehenden  um knapp ein Fünftel im Jahr 2010 ist diese Entscheidung weder nachzuvollziehen noch zu akzeptieren. 

Was die Erfüllung des Rechtsanspruches auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige anbelangt – allein der Ausbau der Versorgungsquote auf 50 % bringt uns in den Jahren 2011 bis 2013 Mehrbelastungen in Höhe von ca. 2 Millionen Euro im Vermögenshaushalt und eine reichliche Million Euro im  Verwaltungshaushalt. Auch hier bestellt der Bund und zahlt nicht in vollem Umfang. Und die Tendenz ist steigend, langfristig werden wir als Kommune immer mehr zum Ausfallbürgen der Lücken im sozialen Netz. 

Zu den gravierenden Folgen verfehlter Finanzpolitik, die mit dramatischen Einschnitten bei den Steuereinnahmen und perspektivisch steigender Arbeitslosigkeit bei den Kommunen ankommen, gesellen sich jetzt noch die Folgen einer Politik, die durch offenes Bedienen eines bestimmten Klientels die Lage weiter verschärfen. Auch wenn der Kämmerer davon ausgeht, dass die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Hoteliers keine gravierenden finanziellen Folgen für Chemnitz hat, hinterlässt diese schmierige Geschichte einen mehr als faden Beigeschmack.

Für uns als Grüne ist das Ende der Fahnenstange erreicht:

Wer diesem Haushalt zustimmt,

akzeptiert, dass sich der Bund weiter aus der Finanzierung der sozialen Kosten bei Hartz IV zurückzieht; die Reduzierung des Bundesanteils belastet Chemnitz in 2010 mit Mindereinnahmen von ca. 1,5 Millionen Euro.

Wer diesem Haushalt zustimmt,

akzeptiert, dass die von Schwarz-Gelb beschlossenen Steuerrechtsänderungen wie die Senkung des Eingangssteuersatzes oder die Sonderabschreibungen für kleinere und mittlere Unternehmen zu einer weitern Schwächung der Einnahmebasis des kommunalen Haushaltes führen, ohne dass ein entsprechender Ausgleich gewährt wird. Allein 10 Millionen Euro beträgt das im Haushalt ausgewiesene Defizit beim Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer.

Die Diskussionen um die Gewerbesteuer sind ihnen bekannt. Aufgrund der zeitlich verzögerten Wirksamkeit ist heute nur schwer zu prognostizieren, wie sich das Steueraufkommen hinsichtlich der „Krisenjahre“ tatsächlich entwickelt.  Wir gehen nicht davon aus, dass die vielbeschworene tiefste Rezession Chemnitz verschont und es ist auch nicht abzusehen, dass der Bund sein Drehen an der Gewerbesteuerschraube aufgibt.

Angesichts dessen ist der in den Orientierungsdaten des Sächsischen Staatsministeriums des Innern für die Jahre ab 2011 unterstellte „Auswuchs“ bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer nur als Witz zu betrachten und steht wohl eher für das Prinzip Hoffnung eines sich durch Steuersenkung selbst tragenden Wirtschaftswachstums als für solide Finanzplanung.

Nach unserer Auffassung wird sich das für die Jahre 2011 bis 2013 ausgewiesene Defizit in Höhe von 170 Millionen Euro daher eher weiter erhöhen. Es kann unserer Stadt nicht gelingen, dieses Defizit auszugleichen, ohne an die Substanz zu gehen. Schon heute wird ein Großteil der städtischen Dienstleistungen für einen Preis erbracht, der weitere Reduzierungen nicht zulässt.

Wer diesem Haushalt zustimmt, akzeptiert,

dass der Ausgleich des Haushaltes zu Lasten von Familien und Kinder geht, flankiert durch willkürliche Einschnitten bei freien Trägern der Jugendhilfe. Das eine Bürgermeisterin der Linkspartei ohne Not den Stadtratsbeschluss zur Ausweitung der Betreuungszeiten ignoriert, ist an sich schon ein bemerkenswerter Vorgang. Wir erlauben uns nicht einzuschätzen, ob das Ausdruck eines besonderen Demokratieverständnisses ist oder für das neue Familienbild der Linkspartei steht. 

Das jedoch unter Federführung der Linken eine Streichorgie im Bereich der Zuschüsse für freie Träger der Jugendhilfe in Gang gesetzt wurde, die intransparent und gedeckelt bis zum Schluss daher kam, ist für uns mehr als bitter. Gerade der Linken, die sich in Land und Bund gern als soziales Gewissen der Nation präsentiert, hätte ein kommunales Rückgrat gut getan.

Uns allen möchte ich abschließend ins Stammbuch schreiben, was uns ein Chemnitzer per E-Mail gesagt hat:

‚Die geplante Anhebung der Kinderbetreuungskosten zeigt sehr deutlich, dass sich die Stadtverwaltung zu Kurzsichtigkeit zwingen lässt und den Finanzdruck an die Schwächsten weiterleitet, obwohl diese die Wichtigsten sein werden, wenn es je zur Tilgung der Schuldenberge kommen soll.

Dieser Ärger bringt mich zu folgendem Vorschlag: wenn auf kommunaler aber mindestens genauso drastisch auch auf Landes- und Bundesebene der Weg in die Verschuldung beibehalten werden soll und über die Bedeutung der zukünftigen Generationen immer nur gefaselt wird, muss man einen Mechanismus schaffen, der die Kinder und Jugendlichen schützt. Es sollte in die Satzungen/Gesetze aufgenommen werden, dass die öffentlichen Ausgaben pro Kind zukünftig nicht mehr sinken dürfen.

Das ist kein Werkzeug, mit dem die aktuelle Situation verbessert wird, es ist vielmehr als Notbremse gegenüber der Bewegung zu verstehen, die das Ziel der Regierungshandlungen immer weiter von nachhaltigem Handeln abbringt.'“

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