Wildtiere im Zirkus? Grüne wollen Diskussion in Chemnitz anstoßen

wildtiereBericht über die Informations- und Diskussionsveranstaltung
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Stadtrat Chemnitz
am 4. September 2007 – Antrag im Stadtrat geplant

Ende Juni 2007 konnte – auch durch die finanzielle Unterstützung vieler Chemnitzer – das abwechslungsreiche und relativ großzügige Außengehege für das Löwenpaar Malik und Kimba im Tierpark eröffnet werden.

„Viele Chemnitzer haben ein Herz für Tiere. Sie nehmen seit Jahren regen Anteil an der Entwicklung von Malik und Kimba. Mehrmals im Jahr gastieren Zirkusse in Chemnitz, die ebenfalls Löwen und andere Wildtiere mit sich führen. Wir glauben, dass es die Chemnitzer interessiert, unter welchen Bedingungen diese Tiere leben und auftreten.“ so Annekathrin Giegengack von der Grünen Stadtratsfraktion zum Anlass einer öffentlichen Fraktionsveranstaltung im September. 

Unter dem Thema: „Wildtiere im Zirkus? Pro und contra“ hatte die Grüne Fraktion am 4. September 2007 um 17 Uhr zur Diskussion ins Rathaus eingeladen. 40 interessierte Bürger und Tierschützer folgten der Einladung . Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen Fragen wie: Was bedeutet artgerechte Haltung von Wildtieren und ist diese im Zirkus überhaupt möglich? Welche Kontrollmöglichkeiten gibt es und wie kann kommunal Einfluss genommen werden? Giegengack: „Die Diskussion war spannend und weitgehend sachlich. Natürlich spielen bei diesem Thema auch Emotionen ein große Rolle. Wir danken den engagierten Diskussionsteilnehmern, vor Allem den Podiumsgästen Tierparkdirektor Dr. Will, Amtstierarzt Dr. Kern und Tierschutzexperte Thomas Pietsch von der Tierschutzstiftung VIER PFOTEN aus Hamburg. Wir bedauern, dass der der von uns eingeladene Zirkus Probst keinen Vertreter schicken konnte."

v.l.n.r: Dr. Hermann Will, Dr. Michael Kern, Annekathrin Giegengack, Thomas Pietsch

 v.l.n.r: Dr. Hermann Will, Dr. Michael Kern, Annekathrin Giegengack, Thomas Pietsch

Das Mitführen bestimmter Wildtiere in Zirkussen für Schau- und Dressurzwecke ist – nicht nur bei Tierschützern – schon seit Jahren umstritten (siehe Hintergrundinformationen). So fordern die Bundesländer Hessen und Baden-Württemberg ein Haltungsverbot von Wildtieren in Zirkusbetrieben. Die Stadt Heidelberg untersagt gastierenden Zirkusbetrieben beispielsweise das Mitführen bestimmter exotischer Tiere. Die Bundesregierung listete auf Nachfrage der GRÜNEN allein für die Jahre 2000 bis 2003 über Tausend Beanstandungen der Amtstierärzte an den Haltungsbedingungen bei vor Ort gastierenden Zirkusbetrieben auf. Im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Ländern kann in Deutschland grundsätzlich jede Tierart im Zirkus mitgeführt werden. Die Regelungen zu Haltung und Unterbringung sind nicht rechtsverbindlich.

Giegengack: „Wir Grünen wollten mit dieser Veranstaltung eine Diskussion über das Thema in Stadtrat und Öffentlichkeit anstoßen. Jeden, der Zirkusvorstellungen mit Tieren besucht, sollte es interessieren, wie diese untergebracht sind, wie sie dressiert werden und was mit ihnen passiert, wenn sie krank oder alt sind. Wir haben eine gewisse Verantwortung, wenn wir ein Zirkusbillet kaufen. Diese Verantwortung sollten wir nicht an die Zirkusse und engagierte Tierschützer abgeben.“

Hintergrundinformationen zur Veranstaltung:

1. Rechtsgrundlagen für Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren im Zirkus
2. Kommunalen Bestimmungen und kommunale Praxis im Umgang mit gastierenden Zirkusbetrieben
3. Bisherige politische Initiativen zur Verbesserung der Bedingungen für Wildtiere in Zirkusbetrieben

1. Rechtsgrundlagen für Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren im Zirkus

In Deutschland ist die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren im Zirkus durch das Tierschutzgesetz (TierSchG) geregelt. Vollzug des Tierschutzgesetzes obliegt den nach Landesrecht zuständigen Behörden. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe d TierSchG bedarf derjenige, der Tiere gewerbsmäßig zur Schau oder für solche Zwecke zur Verfügung stellen will, der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Danach unterliegen Zirkusbetriebe der Erlaubnispflicht. Einzelheiten zur Erlaubniserteilung sind in der „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes“ (AVV) vom 9. Februar 2000 geregelt. Außerdem unterliegen Zirkusbetriebe der Aufsicht der zuständigen Behörde nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 TierSchG, d.h. Betriebe werden nicht nur anlassbezogen, sondern routinemäßig kontrolliert.

Spezielle gesetzliche Vorgaben für in Zirkusbetrieben gehaltene Tiere gibt es nicht. Zur Orientierung hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) für einige Tierarten „Leitlinien für die Haltung Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen“ (2001) herausgegeben. Für Tiere, die nicht regelmäßig beschäftigt werden, oder Tierarten, die von den Zirkusleitlinien nicht erfasst werden, ist das „Säugetiergutachten“ (1996) bzw. andere einschlägige BMELV Gutachten z.B. zur Haltung von Reptilien oder Papageien maßgeblich. Alle diese Gutachten sind nicht rechtsverbindlich, d.h. sie können von den Vollzugsbehörden auch über- oder unterschritten werden. Ein Unterschreiten hat praktisch keine Rechtsfolgen. Im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Ländern kann in Deutschland grundsätzlich jede Tierart im Zirkus mitgeführt werden.

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2. Kommunalen Bestimmungen und kommunale Praxis im Umgang mit gastierenden Zirkusbetrieben

Möchte ein Zirkus in einer Kommune gastieren, schließen die Städte (Ordnungsamt oder Bürgeramt) mit dem jeweiligen Unternehmen so genannte Platzüberlassungs- oder Platzpachtverträge. In diesen Verträgen ist ein Passus zur Erlaubnis oder Genehmigung nach § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 d Tierschutzgesetz enthalten. Beispiel Platzüberwachungsvertrag Chemnitz § 5 (8): "Der Veranstalter ist im Besitz einer Genehmigung nach §11 des Tierschutzgesetzes und eines tagesfertig geführten Tierbestandsbuches, welches durch das Heimatveterinäramt amtlich beglaubigt ist."

Es ist möglich diese Platzüberlassungs- oder Platzpachtverträge mit weiteren Bestimmungen oder Verboten zu ergänzen. Beispiel Platzpachtvertrag Heidelberg § 4 (3): "Als Betreiberin eines Zoos mit naturschutzrechtlicher Genehmigung legt die Verpächterin bei der Tierhaltung sowohl für den Zoo als auch für gastierende Zirkusunternehmen vergleichbare Maßstäbe an. Unter Zugrundelegung der vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft herausgegebenen Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen in der im Jahr 2000 überarbeiteten Fassung sowie der darin ebenfalls enthaltenen ergänzenden Stellungnahmen der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz und der Bundestierärztekammer wird das Mitführen auf dem Pachtgelände und der Auftritt von Giraffen, Nashörnern, Wölfen, Menschenaffen, Tümmlern, Delfinen, Greifvögeln, Flamingos und Pinguinen sowie vergleichbarer exotischer Tieren ausgeschlossen. Der Pächter erkennt diesen Ausschluss für sein Unternehmen und den Aufenthalt in ….. ausdrücklich an. Das Mitführen, die Haltung und der Auftritt von Tieren erfolgen ausschließlich unter Einhaltung der genannten Leitlinien."

Der Vollzug dieser Sonderbestimmungen ist jedoch nicht immer einfach: siehe Pressemitteilung der Stadt Heidelberg vom 02.09.2004

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3. Bisherige politische Initiativen zur Verbesserung der Haltungsbedingungen für Wildtiere in Zirkusbetrieben

Auf politischer Ebene gab es bisher eine Reihe von Initiativen, die Haltungsbedingungen für Wildtiere in Zirkusbetrieben zu verbessern. Hier eine kurze Übersicht:

Am 17.10.2003 fasst der Bundesrat aufgrund einer Initiative des Bundeslandes Hessen eine Entschließung zum Verbot der Haltung bestimmter wildlebender Tierarten in Zirkusbetrieben und zur Einrichtung eines Zirkuszentralregisters. Der Bundesrat beauftragt das BMELV ein Verordnungsentwurf zu erarbeiten, welcher das Halten wildlebender Tiere (insbesondere Affen, Elefanten, Großbären) in Zirkusbetrieben – mit entsprechenden Übergangsregelungen – grundsätzlich verbietet. Des weiteren bittet der Bundesrat die Bundesregierung, ihn unverzüglich weitere Rechtsverordnungen zuzuleiten, welche die zentrale Erfassung von mobilen Tierschauen und Zirkussen mit Tierhaltung sowie die Kennzeichnung der dort vorhandenen Wildtiere regeln.

2003
ersucht der Bundestag anlässlich der Beratungen über den „Tierschutzbericht 2003“ die Bundesregierung, zusammen mit den Ländern darauf hinzuwirken, Haltungsbedingungen von Zirkustieren nachhaltig zu verbessern sowie insbesondere ein Zentralregister sowie eine Positivliste einzuführen. Daraufhin erarbeitet das BMELV Entwürfe für die Änderung des Tierschutzgesetzes (Verbot bestimmter wildlebender Arten), eine Zirkusregister-Verordnung und die Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Im Rahmen der Ressortabstimmung werden zum geplanten Zurschaustellungsverbot bestimmter wildlebender Arten rechtliche Probleme angemerkt (z. B. die Beeinträchtigung des Grundrechts der Berufsausübungs- und Berufswahlfreiheit, die Verhältnismäßigkeit und die Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit innerhalb EU).

2006 eröffnet die Europäische Kommission aufgrund des Haltungs- und Mitwirkungsverbotes von Wildtieren in Zirkussen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich. Das Verfahren wird jedoch noch im gleichen Jahr wieder eingestellt. Vor diesem Hintergrund wird in der Bundesrepublik entschieden, das Verbot der Zurschaustellung bestimmter wildlebender Tierarten vom Gesamtvorhaben zu trennen. Der Schwerpunkt der Erarbeitung wird auf die Einführung eines Zirkusregisters verlegt. Die erforderlichen Rechtstexte (Spezifizierung der für ein Zirkusregister notwendigen Ermächtigungsgrundlage im Tierschutzgesetz sowie eine Zirkusregister-Verordnung) befinden sich seitdem in der Länder- und Verbandsanhörung.

Am 29.03.2006 bringt das Bundesland Baden-Württemberg zwei Anträge zum Haltungsverbot von Wildtieren, zur Einführung eines Zirkuszentralregisters und zur Kennzeichnung von Zirkustieren im Bundesrat ein. Der zuständige Agrarausschuss nimmt am 19.6. 2006 die Anträge von Baden- Württemberg sowie ein Änderungsantrag Bayerns (Konkretisierung Haltungsverbots auf Affen, Elefanten und Großbären) an. Auf Antrag des Bundeslandes Sachsen-Anhalt vertagt der Innenausschuss die Behandlung der Initiativen am 22. 6. 2006. Die Beratungen im Bundesrat wurden bisher nicht fortgeführt, da hierfür ein Wiederaufruf der Vorlage durch die Antragsteller nötig ist, der bisher nicht erfolgte.

Am 10.07.2006 stellt die Bundestagsabgeordnete der Bündnisgrünen Undine Kurth eine schriftliche Anfrage zu Beanstandungen von Amtstierärzten hinsichtlich der Haltung von Wildtieren in Zirkusbetrieben. Der Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Gerd Müller führt u.a. aus, dass im Zeitraum zwischen 8/2000 bis 12/2003 bundesweit 1.077 Beanstandungen hinsichtlich der Haltung von Wildtieren in Zirkusbetrieben registriert wurden (ohne Berlin und Schleswig-Holstein).

Am 08.11.2006 findet unter Vorsitz der grünen Bundestagsabgeordneten Ulrike Höfken eine öffentliche Anhörung des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zum Thema „Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren im Zirkus“ statt. Als Sachverständige werden gehört Laura Zimprich (animal public e.V. ), Claus Kröplin (Berufsverband der Tierlehrer e.V. ), Dr. Hans-Joachim Götz (Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V. ), Torsten Schmidt (Deutscher Tierschutzbund e.V. ) sowie Dr. Immanuel Birmelin und Dr. Christine Lendl.

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